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25.07.2024

Die Zeichen der Zeit

„Die Zeichen der Zeit“ brauchen Menschen, in denen das Senfkorn vom Reich Gottes wächst und reift.

In dem Lied: „Das Jahr steht auf der Höhe“ liest der Lyriker und Pfarrer Detlev Block im „Buch der Natur“.

Und er vereint in poetischer Schönheit den Zyklus der Jahreszeiten mit zutiefst geistlichen Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Wachstumsprozess zu einer menschlich- und geistlich reifen Persönlichkeit macht.

 

Strophe 1:
Das Jahr steht auf der Höhe, die große Waage ruht.
Nun schenk uns deinen Nähe und mach die Mitte gut,
Herr, zwischen Blühn und Reifen und Ende und Beginn.
Lass uns dein Wort ergreifen und wachsen auf dich hin.

 

Wenn die Sonne ihren höchsten Stand über der Erde erreicht hat und die Erdachse sich ihr maximal zuneigt,

lädt das Lied ein, genau das zu tun, was sich am Firmament des Himmels ereignet:

Innezuhalten und sich im Gebet Christus, der ewigen Sonne, zuzuwenden.

Es ist ein Beten im Sinne von Hingabe und Empfangen.

Der Betende gibt seine Zeit, seine Aufmerksamkeit, sich selbst mit all dem, was in ihm da ist,

die schönen Erfahrungen, die ihn Aufblühen lassen, aber auch diejenigen, an denen Menschen so schmerzlich Reifen, Christus hin.

Sein wirkmächtiger Geist zieht den Betenden in die Sphäre Gottes hinein und verwandelt ihn immer tiefer in einen christusähnlichen Menschen.

 

Strophe 2:

Kaum ist der Tag am längsten, wächst wiederum die Nacht.
Begegne unsren Ängsten mit deiner Liebe Macht.
Das Dunkle und das Helle, der Schmerz, das Glücklichsein
nimmt alles seine Stelle in deiner Führung ein.

 

Viele Menschen mögen diese Zeit mit ihren langen, hellen und unbeschwerten Stunden.

Mit der bald wieder zunehmenden Dunkelheit ziehen Melancholie und Ängste vor den Nächten des Lebens in die Herzen vieler ein.

Der geistliche Schriftsteller Henri Nouwen berichtet von seiner Nachterfahrung:

„Ich fragte mich oft, ob Gott wirklich ist oder nur ein Produkt meiner Vorstellung. Ich weiß jetzt, dass Gott mich damals, als ich mich vollkommen verlassen fühlte, nicht allein ließ. Ich habe die innere Stimme der Liebe gehört, tiefer und stärker als je zuvor. Ich will dieser Stimme vertrauen und mich von ihr über die Grenzen meines kurzen Lebens hinausführen lassen, dorthin, wo Gott alles in allem ist“.

 

 

Strophe 3:
Das Jahr lehrt Abschied nehmen schon jetzt zur halben Zeit.
Wir sollen uns nicht grämen, nur wach sein und bereit,
die Tage loszulassen und was vergänglich ist,
das Ziel ins Auge fassen, das du, Herr, selber bist.

 

Von der hohen Mitte aus bahnt sich der Abschied an.

Schon zum Sommerbeginn heißt es loszulassen, einzuwilligen in die Vergänglichkeit.

Ignatius von Loyola empfiehlt in seinen Geistlichen Übungen:

Das Leben vom Ende her zu betrachten und sich bei Entscheidungen zu fragen: Wenn ich in meiner Todesstunde auf diese Entscheidung zurückblicke, wie möchte ich sie dann getroffen haben?

Die Lebensgestaltung unter Einbeziehung des Todes soll weder Angst machen noch die Lebensfreude mindern.

Im Gegenteil: Es bewirkt eine innere Freiheit, das Leben mutig und in Selbsttreue zu entscheiden und am Ende nicht bedauern zu müssen, was Sterbende oftmals leider tun: das eigene Leben zu wenig gelebt zu haben.

 

Strophe 4:
Du wächst und bleibst für immer, doch unsre Zeit nimmt ab.
Dein Tun hat Morgenschimmer, das unsre sinkt ins Grab.
Gib eh die Sonne schwindet, der äußre Mensch vergeht,
dass jeder zu dir findet und durch dich aufersteht.

 

Jeden Morgen neu steigt die Morgenröte auf.

Sie kündet das Ende der Nacht und Neuanfang.

Ihre Schönheit und Vollkommenheit erfüllen uns mit Demut und Staunen.

Der Trappistenmönch Thomas Merton schreibt über die Demut:

„In der echten Demut lebt die Seele des Menschen nicht mehr für sich selbst, sondern für Gott und sie verliert sich in ihm, wird in ihn versenkt und verwandelt. Sein Geist wird von allen Begrenzungen befreit und schwimmt in den Eigenschaften Gottes, an dessen Macht, Herrlichkeit, Größe und Ewigkeit er jetzt, dank der Demut teilhat“.

Menschen, die aus der Demut leben, staunen am Abend eines Tages darüber, was sie alles geschafft haben, und sie erkennen, dass ihnen dies nicht allein aus eigener Kraft möglich war.

 

Liebe Gemeinde!

In dem Wachstums- und Reifungsprozess des Senfkorns sind einige Wesensmerkmale sichtbar geworden, die eine Persönlichkeit ausmacht, durch die Gottes Reich sichtbar und spürbar wird: Aufmerksamkeit, Christusähnlichkeit, Vertrauen in Gottes Führung, innere Freiheit, Leidensfähigkeit, Selbsttreue, Mut, Demut und Staunen.

Menschen, die das Reich Gottes im Herzen tragen, können die „Zeichen der Zeit“ wahrnehmen und im Geist Gottes handeln.

 


Predigt von Gemeindereferentin Helga Lang am 16. Juni 2024 in St. Maximilian Kolbe